Italiens Justiz im Blackout Wie Carabinieri den Rechtsstaat aushebeln
Die deutsche Journalistin Evarella wird festgenommen. Sie wird festgehalten – ohne Handy, ohne richterliche Kontrolle, ohne Zugang zu einem Verteidiger. Die Maßnahme, die ihr auferlegt wird, ist nicht nur gesetzlich nicht vorgesehen – sie existiert schlicht nicht.
Was sich in den ersten 24 Stunden nach der Festnahme von Evarella abgespielt hat, war kein Irrtum. Es war ein kontrolliertes Ausschalten rechtsstaatlicher Sicherungen. Und es wirft die Frage auf: In welchem Zustand befindet sich ein Rechtsstaat, wenn grundlegende Schutzmechanismen außer Kraft gesetzt werden – im Dienste einer verdeckten Agenda.
Vermeidung von Kontrolle: Warum Evarella im Warteraum von Bompietro festgehalten wurde
Nach ihrer Festnahme wurde Evarella nicht – wie gesetzlich vorgesehen – in die nächstgelegene Carabinieri-Kaserne mit Haftzellen und ordnungsgemäßer Protokollierung überführt. Stattdessen wurde sie über sechs Stunden lang im verglasten Warteraum der Station Bompietro festgehalten – unter Bedingungen, die nicht nur menschenunwürdig waren, sondern ganz offensichtlich auf Erniedrigung und Umgehung gerichtlicher Kontrolle abzielten.
Die Kaserne Petralia Sottana, nur wenige Kilometer entfernt, hätte diese Kontrolle sichergestellt:
- Sie verfügt über Haftzellen,
- über ein Präsenzregister,
- und über Zugriff auf den diensthabenden Haftrichter (GIP).
Ein Transport dorthin hätte bedeutet:
- Eintragung in das offizielle Haftsystem,
- juristische Prüfung der Maßnahme durch unabhängige Beamte,
- und ganz sicher: sofortige Aufhebung wegen offensichtlicher Unrechtmäßigkeit.
All das sollte offenbar verhindert werden. Stattdessen: keine richterliche Prüfung, keine rechtliche Grundlage, kein Protokoll – nur ein „Wartezimmer“ als rechtsfreier Raum. Doch dieser „Warteraum“ war in Wahrheit ein Ort gezielter Demütigung.
Evarella wurde dort wie ein Tier im Zoo ausgestellt – sichtbar durch die verglaste Fassade, ohne Schutz, ohne Rückzugsmöglichkeit. Sie saß stundenlang auf einem Stuhl, unter ständiger Beobachtung durch einen Carabiniere, der sie ununterbrochen fixierte. Die bekannten Gesichter der Carabinieri aus Bompietro, Alimena und Petralia – kamen an diesem Tag wie zufällig vorbei, um sie zu sehen.
Sie fror, bekam erst nach mehreren Stunden eine Decke. Jeder Toilettengang wurde begleitet – immer durch dieselbe Carabiniera Marta Racco, die sie dabei aus dem Augenwinkel beobachtete.
Am Ende konnte sie nicht mehr sitzen, wickelte sich in die Decke und legte sich auf den Boden, erschöpft, erniedrigt, entmenschlicht.
Diese Szenerie war kein logistischer Zufall. Sie war das kalkulierte Vorspiel zu einer Maßnahme, die später noch rechtswidriger sein würde: dem Hausarrest ohne richterlichen Beschluss.
Eine illegale Maßnahme zur Rettung der Illegalität: Der improvisierte Hausarrest
Doch selbst dieser Zustand war nur vorübergehend haltbar. Man konnte Evarella nicht über Nacht im Warteraum lassen – das hätte die Rechtswidrigkeit offenkundig gemacht. Und man konnte sie nicht nach Petralia bringen – dort hätte man zu viele Fragen gestellt.
Die „Lösung“: ein rechtswidriger Hausarrest, verhängt ohne richterlichen Beschluss (art. 284 c.p.p / art. 13 Cost./ art. 5 CEDU), ohne Dokumentation, ohne Anhörung.
Die Carabinieri erklärten später, man habe angeblich auf eine „mündliche Anweisung“ der Staatsanwältin Lorenza Turnaturi gehandelt. Doch: Es existiert kein Nachweis über diese Anweisung.
Eine Staatsanwältin ist gesetzlich nicht befugt, freiheitsentziehende Maßnahmen anzuordnen.
Nur ein Richter darf so tief in die Grundrechte eines Menschen eingreifen – alles andere ist Willkür. Der „Hausarrest“, wie er hier vollzogen wurde, war nichts anderes als eine verdeckte Inhaftierung unter falscher Flagge.
Hinzu kommt: Die Maßnahme wurde nicht etwa neutral durchgeführt, sondern diente offenkundig der Einschüchterung. Acht Carabinieri beteiligten sich an gezielten Störaktionen:
- nächtliches Klingeln,
- blendendes Licht ins Gesicht,
- unzählige Anrufe
Ein Verhalten, das im Wohnumfeld den Eindruck vermittelte, Evarella sei eine gefährliche Person.
Kein Anwalt, keine Verteidigung, keine Stimme
Parallel zur physischen Isolierung wurde Evarella auch juristisch entwaffnet. Trotz zahlreicher Bitten wurde ihr der Kontakt zum Anwalt Nicola Canestrini verweigert – rund 20 Mal versuchte sie es, ohne Erfolg.
Stattdessen wurde ihr der Pflichtverteidiger Salvatore di Liberti zugewiesen, ohne ihre Kenntnis, ohne jede Kommunikation. Dieser:
nahm jedoch keinen Kontakt mit ihr auf, wurde ihr das erste Mal ca. 20 Minuten vor der Haftprüfung vorgestellt, ergriff nicht nur keine einzige Maßnahme zu ihrer Verteidigung, sondern schadete ihr nachweislich
Der Verdacht liegt auf der Hand:
Di Liberti vom Comandante Radiomobile gezielt eingesetzt, um ihre Verteidigung gezielt zu verhindern – und die Maßnahmen der Carabinieri rechtlich abzusichern, ohne lästige Fragen zu stellen.
Ein eklatanter Verstoß gegen jedes rechtsstaatliche Prinzip. Wenn die Carabinieri als die Exekutive, die selbst Verfahrensbeteiligte sind, auch noch den Verteidiger auswählen/ersetzen, wird das Grundprinzip eines fairen Verfahrens komplett ausgehebelt. Die Maßnahme war nicht nur formell fragwürdig – sie war inhaltlich eine Entmündigung.
Drei Zahnräder eines Systems der Umgehung
Diese drei Schritte – rechtswidrige Festnahme, illegale Zwangsmaßnahme, Ausschluss der Verteidigung – sind keine Fehler. Sie sind die abgestimmten Elemente eines größeren Plans:
- Die Person unter Kontrolle bringen.
- Ihre Stimme zum Schweigen bringen.
- Das Verfahren steuern.
Nicht mehr eine kontrollierte Justiz – sondern Kontrolle über die Justiz.
Was bleibt, ist kein bürokratischer Irrtum. Es bleibt der begründete Verdacht einer bewussten Strategie zur Aussetzung des Rechtsstaats.
