Franco Gennaro – der Zeuge, der zuviel weiß Der Fall Evarella
Ein Schlüsselzeuge wird aus dem Verfahren radiert. Eine zentrale Ermittlungsakte bleibt unter Verschluss. Und ein Strafprozess läuft weiter – als wäre nie etwas gewesen.
Der Umgang mit dem Zeugen Franco Gennaro im Fall Evarella wirft längst keine bloßen Zweifel mehr auf. Er stellt eine grundsätzliche Frage: Funktioniert dieser Rechtsstaat noch – oder wird er längst gesteuert?
Der Schlüsselzeuge, der alles ändern könnte
Am Abend des 5. März 2025 berichtete Franco Gennaro, dass der Hund, um den sich der zentrale Vorwurf des Diebstahls dreht, bereits dem verstorbenen Vater des Anzeigeerstatters Salvatore di Prima gehört habe – und etwa sechzehn Jahre alt sei.
Diese Aussage birgt juristischen Sprengstoff: Sie stellt die Besitzverhältnisse infrage, relativiert den wirtschaftlichen Wert des Tieres – und entzieht dem Tatvorwurf „Diebstahl“ damit jede Grundlage. Ein 16-jähriger, hinkender Mischling ist kein taugliches Diebesgut. Punkt.
Noch brisanter: Gennaro erklärte, dass er bereits vier Tage zuvor, am 1. März 2025, für zwei Stunden in der Carabinieri-Station gewesen sei – just an dem Tag, an dem die sogenannte C.N.R. (Comunicazione di Notizia di Reato) erstellt wurde.
Was während dieses zweistündigen Aufenthalts geschah, lässt sich bis heute nicht rekonstruieren – denn die Ermittlungsakte Nr. 824/25, in der diese Ereignisse dokumentiert sein müssten, ist weiterhin unter Verschluss. Begründung: Das Ermittlungsverfahren sei angeblich noch nicht abgeschlossen.
Doch das Schweigen dieser Akte ist kein bloßes Versäumnis – es ist gezieltes Abschirmen. Denn genau in dieser Akte steht alles, was im aktuellen Verfahren nicht zur Sprache kommen soll: Gennaros Besuch, seine Rolle, seine Aussagen – kurz: der eigentliche Kern des Geschehens.
Die Aufspaltung in zwei getrennte Verfahren – und das bewusste Zurückhalten der zentralen Ermittlungsakte – folgen einem klaren Muster: Der Vorwurf des Diebstahls wird ausgelagert, blockiert und vertagt – damit der Vorwurf des Widerstands ohne Kontext verhandelt werden kann.
Ein Verfahren im Schatten eines anderen. Ein Beweisstück im Wartezimmer. Und ein Schlüsselzeuge, der zwar existiert – aber nicht gehört wird.
Ob Gennaro vernommen wurde, ob es ein Protokoll gibt oder ob seine Aussagen überhaupt Eingang in die Akte fanden, ist bis heute unklar. Doch gerade dieses Schweigen der Akten ist aufschlussreich – denn Gennaros Aussage hätte die Anklage erschüttert.
Zwischen Wissen und Angst: Gennaros Rückzug
Schon am 5. März 2025 ließ Gennaro durchblicken, wie groß seine Angst um die Angeklagte war.
„Quando io ti ho visto con il cane – se mi tagliavano la vena, il sangue non correva più – ci sono rimasto malissimo.“
– Franco Gennaro –
sagte er – und begleitete seine Worte mit einer Geste, die das Aufschneiden der Pulsadern andeutete. Eine drastische Metapher. Seine Worte und seine Körpersprache machten klar: Er war schockiert, betroffen – und offenbar tief verunsichert über das, was er gesehen oder geahnt hatte.
Gennaro wusste – oder spürte – dass hier etwas Größeres im Gange war. Dass dieser Moment – Evarella mit dem Hund zu sehen – ein Auslöser war. Und dass darauf eine Eskalation folgen würde. Kein Zufall. Kein Missverständnis. Sondern ein gezielter Angriff.
Im Rückblick lässt sich sagen: Es war der Auftakt zu einem Plan – zur juristischen, sozialen, existenziellen Vernichtung Evarellas.
Seine Starre war kein Erstaunen – sie war Vorwissen. Doch Monate später veränderte sich die Tonlage vollständig. Am 9. September 2025 schrieb Gennaro in einem Chat an die Angeklagte:
"Io ti dico che nn mi devi fare chiamare, non voglio entrare in questa situazione."
– Franco Gennaro –
Ein Zeuge, der sich so äußert, spricht nicht mehr aus Empathie – sondern aus Furcht. Nicht mehr über Mitgefühl – sondern über den Willen, sich fernzuhalten. Diese Angst wird nicht ausgesprochen, aber sie ist in jedem Wort spürbar.
War er Zeuge unbequemer Wahrheiten? Wurde er unter Druck gesetzt? Oder war er vielleicht von Anfang an Teil jenes Manövers – das mit hoher Wahrscheinlichkeit während dieser zwei Stunden in der Kaserne inszeniert wurde? Denn zwei Stunden sind kein gewöhnliches Zeugenprotokoll. Zwei Stunden sind eine Besprechung. Eine Regie. Ein Plan.
Vielleicht war Gennaro nie nur ein Zeuge – sondern ein Rädchen, bewusst oder unbewusst, in einem viel größeren Getriebe.
Was in diesen zwei Stunden geschah, bleibt im Dunkeln.
Doch die Signale sind eindeutig: Gennaro kannte die Wahrheit – und wollte (oder durfte) nicht darüber sprechen.
Die Richterin, die den Zeugen verschwinden ließ
Trotz seiner Angst wurde Gennaro von der Angeklagten ordnungsgemäß als entlastender Zeuge benannt.
Genau an diesem Punkt jedoch tritt Richterin Aiello auf den Plan – nicht als neutrale Instanz, sondern als Filter.
Obwohl Gennaro als Zeuge benannt wurde, taucht sein Name im Verbale d’udienza vom 23.09.2025 nicht ein einziges Mal auf.
Nicht als geladener Zeuge. Nicht als abgelehnter Zeuge. Nicht einmal als Randnotiz.
Aiello äußerte sich zwar zu den Vigili del Fuoco – und lehnte deren Ladung unter dem Vorwand fehlender Namensnennung ab, obwohl identifizierendes Fotomaterial vorlag.
Doch bei Gennaro? Schweigen. Keine Mitteilung. Kein Beschluss. Keine Begründung. So verschwindet ein Zeuge, den niemand hören soll.
Ein beunruhigendes Gesamtbild
Franco Gennaro wurde aus dem Verfahren ausradiert – nicht zufällig, sondern absichtlich.
In Kombination mit seiner dokumentierten Angst und seiner Nähe zum Zentrum der Ermittlungen ergibt sich ein beunruhigendes Gesamtbild: Nicht (nur) er wollte nicht aussagen – es wäre zu gefährlich gewesen, wenn er es getan hätte. Denn Franco Gennaro weiß zu viel.
Was bleibt?
Das gezielte Verschwindenlassen dieses Zeugen ist keine einfache Nachlässigkeit. Es ist ein aktiver Eingriff in die Verteidigungsrechte durch Richterin Aiello – auch wenn sie eines Tages behaupten sollte, es sei nur ein Versehen gewesen. Doch wer einen entscheidenden Zeugen ohne jede Begründung aus dem Verfahren streicht, hat sich nicht geirrt. Er hat es so entschieden.
Franco Gennaro bleibt in den offiziellen Dokumenten unsichtbar. Aber gerade dieses Schweigen ist laut. Und es schreit nach einer Antwort.
