Die Anwaltskammer im Gerichtsgebäude – Ein strukturelles Risiko für den Rechtsstaat Ein Architekturdetail als Röntgenbild eines Systems

In Termini Imerese findet man eine Konstellation, die in jedem Rule-of-Law-Seminar weltweit als Negativbeispiel dienen würde:

Das Strafgericht und der Consiglio dell’Ordine degli Avvocati (Anwaltskammer) befinden sich im selben Gebäude – Tür an Tür.

Was organisatorisch praktisch wirken mag, ist in Wahrheit ein fundamentaler Angriff auf rechtsstaatliche Funktionslogik:
Die Institution, die den Angeklagten schützen soll, ist räumlich, sozial und operativ in die Machtstruktur eingebettet, die über ihn urteilt.

Warum diese Nähe rechtsstaatlich brandgefährlich ist

A livello teorico e costituzionale, la funzione dell’avvocatura è chiara: garantire la difesa indipendente dell’imputato contro il potere punitivo dello Stato.

Ma quando difesa e giurisdizione condividono corridoi, uffici e caffè, la dinamica cambia radicalmente:

Unabhängigkeit der Verteidigung faktische Abhängigkeit und Loyalitätsdruck
Kontrolle der Justiz durch Anwaltskammer Interessenkonflikt & Abschirmung
Schutz des Angeklagten vor Machtmissbrauch Verteidigung als Teil derselben Hierarchie
Freie Anwaltswahl & freie Berufsausübung System sozialer Sanktionierung
Getrennte Institutionen sichern Gewaltenteilung Machtkonzentration erzeugt Willkürrisiko

Wo Nähe herrscht, entsteht Komplizenschaft.
Wo Kontrolle räumlich unmöglich ist, wird sie funktional sinnlos.

Pflichtverteidigung ohne Unabhängigkeit ist keine Verteidigung

In einem Raum, in dem sich Richter, Staatsanwälte und Pflichtverteidiger täglich den Flur teilen, gilt:

Wer widerspricht, riskiert seine berufliche Existenz. Wer ein Fehlverhalten meldet, greift Kollegen an, nicht ein abstraktes System. Wer den Rechtsstaat verteidigt, verliert seine Position im Netzwerk.

Das bedeutet:

Ein Pflichtverteidiger kann in einem solchen System objektiv nicht frei handeln. Er kann nicht unabhängig sein. Er kann nicht kontrollieren. Er kann nur verwalten und stabilisieren.

Damit wird das Modell „Pflichtverteidiger“ zur prozeduralen Fassade, nicht zur Garantiestruktur.

Ein struktureller Interessenkonflikt – nicht ein individueller

Das Problem liegt nicht in einzelnen Personen oder Einzelfehlern, sondern in der Bauweise des Systems:

Wenn dieselbe Institution, die über Fehlverhalten von Anwälten entscheiden soll, ihre Büros im Gebäude derjenigen hat, die sie überwachen soll, dann ist Kontrolle nicht nur erschwert — sie ist systemisch ausgeschlossen.

Das nennt man:

Institutionelle Befangenheit durch räumliche und funktionale Nähe

Kein moderner Rechtsstaat würde jemals zulassen, dass:

  • die Disziplinarkontrolle der Polizei im Polizeigebäude sitzt,
  • die Bankenaufsicht im Büro der Großbank residiert,
  • der Ethikrat im Vorstandsetage eines Konzerns arbeitet.

Aber in Termini Imerese sitzt:
Die Kontrolle der Verteidigung direkt im Haus der Strafjustiz.
Das ist nicht Effizienz. Das ist Machtkonzentration.

Fazit

Ein Rechtsstaat wird nicht durch Paragraphen garantiert, sondern durch Distanz zwischen den Mächten.

Wenn Gericht und Verteidigung im selben Gebäude sitzen, ist die Verteidigung keine Gegenmacht mehr, sondern Teil der Architektur der Anklage.

Und damit verliert der Prozess seinen Sinn:
Nicht der Angeklagte steht vor Gericht — sondern der Rechtsstaat selbst.