Modello 45:  Wie unbequeme Strafanzeigen in Italien lautlos verschwinden

Ein unscheinbarer Verwaltungsakt erlaubt es der italienischen Justiz, selbst schwerwiegende oder brisante Anzeigen abzulegen – ganz ohne Ermittlungen, ganz ohne richterliche Prüfung, ganz ohne Transparenz.

Die Rede ist vom Modello 45: ein technisch klingender Begriff, der sich in der Praxis als unsichtbare Mauer gegen Wahrheit und Gerechtigkeit entpuppen kann. Was wie ein internes Ordnungssystem wirkt, ist in Wirklichkeit ein Instrument, das dem Rechtsstaat ernsthaft gefährlich werden kann.

Was genau ist das Modello 45?

  • Jede Anzeige, die bei einer Staatsanwaltschaft eingeht, wird in Italien formal registriert – je nach rechtlicher Bewertung in unterschiedliche Modelle:
  • Modello 21 → Strafverfahren gegen eine namentlich bekannte Person
  • Modello 44 → Verfahren gegen Unbekannt
  • Modello 45 → Vorgang, der nicht als strafrechtlich relevant eingestuft wird

Mit anderen Worten: kein Verfahren, keine Ermittlungen, keine weiteren Schritte.

Was nach Effizienz klingt, ist oft genau das Gegenteil: Ein potenzielles Schlupfloch zur Verhinderung unangenehmer Wahrheiten.

Wie funktioniert der „Trick“?

Das Prinzip ist einfach – und gerade deshalb so wirksam:

  1. Ein Bürger, Anwalt, Journalist oder Aktivist reicht eine gut dokumentierte Anzeige ein – etwa wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Verbindungen zwischen Politik und Kriminalität.
  2. Der Staatsanwalt prüft allein und entscheidet:
    „Kein Anfangsverdacht“ → Modello 45
  3. Die Anzeige wird formell archiviert, ohne jegliche Ermittlungen.
  4. Es besteht keine Pflicht zur Begründung, keine Benachrichtigung des Anzeigenden, keine richterliche Kontrolle.
  5. Das Ergebnis: Die Anzeige verschwindet im System, als hätte es sie nie gegeben.

Wenn das Modello 45 zur Waffe wird

Ursprünglich gedacht, um offenkundig unbegründete Anzeigen auszufiltern, ist das Modello 45 inzwischen – so zahlreiche Kritiker – zu einem systemischen Werkzeug der Stilllegung geworden.

Besonders oft betroffen sind:

  • Anzeigen gegen mächtige Personen: Politiker, Beamte, Richter
  • Vorgänge, die das Handeln von Institutionen hinterfragen
  • Eingaben von Bürgern ohne politische oder juristische Rückendeckung

Es ist die eleganteste Methode, eine Anzeige verschwinden zu lassen, ohne Spuren zu hinterlassen.

Eine unsichtbare Wand

Das eigentliche Problem ist nicht nur der Einsatz des Modello 45 – sondern die vollständige Intransparenz dahinter:

  • Keine Pflicht zur Benachrichtigung des Anzeigenden
  • Keine Möglichkeit zur sofortigen Anfechtung
  • Keine richterliche Prüfung der Entscheidung
  • Keine öffentliche Nachvollziehbarkeit

Das bedeutet: Selbst eine gut belegte Strafanzeige mit ernsten Vorwürfen kann komplett im Archiv verschwinden, ohne dass jemand davon erfährt – auch nicht derjenige, der sie eingereicht hat.

Was es braucht, um das System zu reformieren

Immer mehr Juristen und Initiativen fordern eine grundlegende Reform des Modello 45. Zu den wichtigsten Forderungen gehören:

  • Begründungspflicht für jede Archivierung im Modello 45
  • Verpflichtende Mitteilung an den Anzeigenden
  • Recht auf richterliche Überprüfung
  • Veröffentlichung anonymisierter Nutzungsstatistiken
  • Digitale Rückverfolgbarkeit und Transparenz
Fazit: Ist eine unsichtbare Justiz noch gerecht?

Das Modello 45 ist nicht per se ein Skandal – doch in der heutigen Praxis kann es leicht zu einem staatlich legitimierten Akt der Verdrängung werden.

Solange es keine Transparenz, keine Kontrolle und keine rechtlichen Schutzmechanismen gibt, wird das Modello 45 zunehmend als Instrument der Straflosigkeit wahrgenommen – und nicht mehr als bloße Verwaltungsroutine.

In einem Rechtsstaat muss jede Anzeige Gehör finden, geprüft werden – und, wenn nötig, Konsequenzen nach sich ziehen.

Wenn der Staat sie im Stillen ignoriert, verliert die Justiz ihre Glaubwürdigkeit. Und die Bürger ihr Vertrauen.