„Wir sind das Gesetz“ – Autoritäre Carabinieri-Allüren am Gericht von Termini Imerese Ein investigativer Kommentar über Macht, Angst und den Zerfall rechtsstaatlicher Haltung im Gericht von Termini Imerese
Im Tribunale di Termini Imerese spielt sich seit Monaten dieselbe Szene ab – klein, unscheinbar, aber mit gewaltiger Symbolkraft.
Die deutsche Journalistin Evarella, seit Jahren Ziel institutioneller Widerstände, kommt, um eine Akte einzusehen – ein gesetzlich garantiertes Recht. Und doch verwandelt sich dieser einfache Akt immer wieder in ein Lehrstück darüber, wie leicht Macht entgleitet, wenn sie sich selbst genügt.
Ein Plastikkörbchen als Machtinstrument
Was als banale Sicherheitskontrolle begann, entwickelte sich zu einem Symptom tiefer struktureller Probleme: fehlende Ausbildung, unreflektierte Autorität und ein Sicherheitsapparat, der glaubt, Bürger kontrollieren zu müssen, anstatt das Gesetz zu wahren.
Ein Carabiniere – Francesco – weigert sich, der Besucherin das kleine Plastikschälchen zu geben, in das man bei der Sicherheitsschleuse seine losen Gegenstände legt. Stattdessen fragt er immer wieder:
„Che deve fare?“ – Was wollen Sie hier tun?
Keine Routinefrage, sondern eine, die klar signalisiert: Ich entscheide, ob Sie hier überhaupt etwas zu tun haben.
Evarella bleibt ruhig, bittet fünfmal um das Schälchen. Der Beamte weigert sich konsequent. Es kommt zum absurden Stillstand – ein Staatsdiener, der ein Stück Plastik zum Symbol der Kontrolle erhebt.
Sie legt ihre Handtasche ordnungsgemäß aufs Band der Sicherheitskontrolle – doch für die losen Gegenstände bräuchte sie die Schale. Da der Beamte sie ihr nicht gibt, sagt sie ruhig: „Sie weigern sich? Auch gut.“ und geht – gezwungermaßen – mit Handy und Schlüssel in der Hand durch den Metallscanner.
Der Beamte, der die Kontrolle über den Ablauf verloren hatte, suchte sie durch Überregulierung und Schikane wiederherzustellen – ein Mechanismus, der in vielen hierarchischen Strukturen zu beobachten ist: Wenn Autorität wankt, wird sie lauter.
Von der Kontrolle zur Einschüchterung
Um sein Gleichgewicht wieder herzustellen, fordert der Beamte Evarella auf, die Kontrolle erneut zu durchlaufen – obwohl alles bereits gescannt wurde. Es geht nicht mehr um Sicherheit. Es geht um Unterordnung. Evarella hält eine zweite Kontrolle für unnötig. Da wird der Carabiniere patzig:
„Se c’è bisogno, le lo dico io.“ – Was nötig ist, sag ICH Ihnen.
„No, lei fa quello che dice la legge.“ – Nein, Sie tun, was das Gesetz sagt.
„La legge siamo noi, non si preoccupi.“ – Das Gesetz, das sind wir – machen Sie sich keine Sorgen.
Ein Satz, frech im Ton und überheblich im Geist – Ausdruck einer Macht, die sich nur durch Herabsetzung stabilisiert.
Autorität, die sich selbst für das Gesetz hält
In diesem Moment friert die Szene ein – wie ein Stillbild aus einem Land, das sich an die Regeln erinnert, sie aber längst nicht mehr lebt.
Der Satz ist kein Ausrutscher, kein rhetorisches Missgeschick – er ist ein Bekenntnis. Er offenbart das Denken jener, die Uniform tragen, aber das Gesetz als Eigentum und nicht als Auftrag verstehen.
„La legge siamo noi“ bedeutet: Wir stehen über der Norm.
Nicht das Gesetz schützt den Bürger, sondern wir entscheiden, wer Bürger sein darf.
Und genau hier endet die Demokratie – nicht in der Theorie, sondern am Eingang des Gerichts von Termini Imerese, wo ein banales Objekt zum Symbol institutioneller Macht wird.
Dass ein solcher Vorfall ausgerechnet in einem Gericht geschieht – an jenem Ort, der den Rechtsstaat verkörpern sollte – macht ihn zu einem Angriff auf dessen Fundament. Wenn das Prinzip der Rechtssicherheit dort bröckelt, wo es verteidigt werden müsste, ist die Erosion bereits im Innersten angekommen.
Der Schaden ist angerichtet
Der Beamte, der die Ausweise in ein Buch einträgt, ist in diesem Moment der Einzige, der versteht, was hier tatsächlich geschieht – und der Einzige, der sich korrekt verhält.
Er versucht, die Situation zu entschärfen: „Lascia perdere. Francesco, basta (Lass gut sein, Francesco, es reicht).“ Doch der Schaden ist längst angerichtet
Der Maresicallo und der "Mafia-Blick"
Als Evarella und ihr Begleiter das Gebäude schließlich verlassen und auf der rechten Treppe draußen stehen – dort, wo man normalerweise hineingeht – werden sie von den Carabinieri verfolgt. Der Maresciallo ruft ihnen nach, sie könnten die Akten doch einsehen, sie müssten eben nur die Kontrolle noch einmal durchlaufen.
Evarella erwidert, sie habe die Kontrolle bereits passiert.
Darauf antwortet der Maresciallo: „Nein, Sie stehen davor.“
Er sagt es mit einem Tonfall, der alles, was zuvor geschehen war, einfach auslöscht – als beginne die Geschichte erst in diesem Moment.
Und er sagt es mit einem Blick, den Evarella und ihr Begleiter unter sich den „Mafia-Blick“ nennen – jenen bohrenden, kühlen Ausdruck, mit dem einige Carabinieri zu verstehen geben, auf welcher Seite sie stehen. In diesem Augenblick wird klar: Die Wahrheit ist nicht mehr das, was geschehen ist – sondern das, was die Autorität behauptet.
Was bleibt, ist das Gefühl: Im Gerichtsgebäude ist weder der Rechtsstaat noch der Mensch sicher.
Wiederholung statt Ausnahme
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Bereits im April wurde der Zugang zu denselben Akten unter fadenscheinigen Gründen verweigert.
Der rote Faden: Schikane, Übergriffigkeit, institutionelle Arroganz.
Das, was in Termini Imerese geschieht, ist kein Einzelfall – es ist ein Mikrokosmos jener bürokratischen Selbstherrlichkeit, die in Italien zur Kultur geworden ist.
Wenn Bürger, die ihre Rechte kennen, als Störfaktoren gelten – wenn sie sich rechtfertigen müssen, warum sie vom Gesetz Gebrauch machen – dann ist das Gesetz bereits pervertiert.
Termini Imerese – ein Gericht, das Angst macht
Die Journalistin und ihr Begleiter weigern sich inzwischen, das Gerichtsgebäude erneut zu betreten. Aus diesem und aus vielen anderen Gründen.
Nicht, weil sie das Recht scheuen, sondern weil sie diejenigen fürchten müssen, die es verteidigen sollten.
Am 6. November soll eine Verhandlung stattfinden – doch wie kann man von einem Bürger erwarten, in einem Gebäude zu erscheinen, in dem das Wort Gesetz zur Drohung geworden ist?
Was bleibt
Vielleicht wird dieses Protokoll eines kleinen Machtmissbrauchs keine Folgen haben. Vielleicht wird es als Missverständnis abgetan. Aber die Geschichte bleibt – als Mahnung, dass der Rechtsstaat nicht dort stirbt, wo Gesetze abgeschafft werden, sondern dort, wo sie von den Falschen verkörpert werden.
Wenn ein Carabiniere sagt: „La legge siamo noi“, dann hat er vergessen, dass er eigentlich nur die Hand sein sollte – nicht der Richter.
Nota personale
Der Maresciallo hat Evarella ausdrücklich eingeladen, Anzeige zu erstatten. Da jedoch angesichts der bisherigen Erfahrungen anzunehmen ist, dass eine solche Anzeige innerhalb der Institution versanden und von der Staatsanwaltschaft – wie frühere – unbeachtet bleiben wird, ist dieser Artikel als öffentliche Anzeige zu verstehen.
In diesem Kontext ist auch die Veröffentlichung der Fotos der beteiligten Personen legitim und notwendig – im Interesse der Transparenz und der öffentlichen Kontrolle staatlichen Handelns.
